Das zürcherische Schwamendingen gehört, wie das genferische Meyrin oder das bernische Bümpliz-Bethlehem, zu den legendären Vororten der Schweiz. Es liegt in Zürich Nord, es wurde 1934 in die Stadt Zürich eingemeindet und 1971 zum «Kreis 12» (K12) ernannt. Deswegen heisst die Ausstellung K12 Schwamendingen.
Schwamendingen liegt in der Südanflugschneise des nahe gelegenen Flughafens Kloten und wird von der Autobahn A1 mit täglich 120’000 Fahrzeugen durchschnitten. Die Schwamendinger Chilbi ist schweizweit bekannt, ebenso der Rapper Bligg, die Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Viola Tami oder der Nationalfussballspieler Ricardo Rodríguez, die alle von dort stammen.
Mit ihrem Umzug Anfang der 1990er Jahre nach Schwamendingen hat Ruth Erdt begonnen, ihre Umgebung fotografisch festzuhalten. Für sie war es, wie sie erzählt, zuerst ein seltsamer Ort, wie ausserhalb der Stadt, nicht wirklich anerkannt und von vielen schräg angesehen. «In meinen Fotos versuchte ich Schwamendingen immer so aussehen zu lassen, als könnten die Bilder überall sein, in Europa, in der Welt, aber nicht in Zürich, nicht in der Schweiz. Später fing ich an, gezielter zu fotografieren. Immer noch mit der Ausrichtung, eine Art Zuordnung zu verweigern, ob zeitlich oder ortsspezifisch. Thematisch hauptsächlich den Garten, den Wald, Gebäudeabbrüche, Menschen und die Chilbi.» Dann aber habe sie beobachtet, wie die Generation ihres Sohnes den Ort für sich reklamiere, das Vorurteil in Stolz umwandelte und K12 in Songs, Tags und Gesten zelebrierte. Als dann um 2012 die Zusammenarbeit mit der AG KiöR (Arbeitsgemeinschaft Kunst im öffentlichen Raum) begann, habe sie den Fokus geöffnet. Es ging darum, anhand von bewusst angelegten Serien einen Dialog aufzubauen: einerseits mit dem Quartier, andererseits aber auch mit vergleichbaren Aussenquartieren in europäischen Städten in Hinsicht auf Gentrifizierung, Identität oder tiefgreifende Umbrüche durch bauliche Eingriffe.
Seither hat Erdt über 60’000 Bilder geschossen, von denen hier rund 5’000 zu sehen sind, viele davon zum ersten Mal. Aus Erdts Engagement ist K12 Schwamendingen entstanden, eine Langzeitstudie über einen Ort und eine modellhafte Recherche mit den Mitteln der Kunst. Es ist auch eine Würdigung der Menschen, die hier leben und arbeiten, der Schüler:innen, Werktätigen, Kreativen und Hängengebliebenen, der Rentner:innen, Kinder und Hunde und der Menschen, die nur kurz da wohnen – und jenen, die nie mehr weg ziehen. Und nicht zuletzt ist es eine Studie über die Möglichkeiten der Fotografie und wie sie auftritt. Deswegen dekliniert diese Ausstellung unterschiedliche Träger durch: gerahmte Fotografie, Fotografie als Kunst, Fotografie als Poster, als Diashow, als Dokument, als Vorhang und Fahne, als Wegwerfware und Instagram, als Tapete und als Möglichkeit, sich selbst buchstäblich und im übertragenen Sinn ein Bild zu machen.
Die Ausstellung zelebriert Schwamendingen als aussergewöhnlich gewöhnlichen Ort. Sie ist eine Hommage an eine scheinbare Normalität, die es nicht ohne ihren Gegenpol, das Drama, gibt. So taucht nicht zufällig immer wieder die umweltzerstörende Autobahnschneise auf – und das damit verbundene Grossbauvorhaben: die seit Jahrzehnten von der Bevölkerung geforderte, 450 Millionen teure Einhausung. Im März 2019 begonnen, wird sie in diesem Jahr fertiggestellt werden und die Autobahn auf 950 Meter zudecken. Auf dieser Einhausung und High Line soll und wird ein Park entstehen, um die vormals geteilten Quartiere wieder zu verbinden. – Daniel Baumann
Zur Ausstellung erscheint im Steidl Verlag die über 900-seitige Publikation K12 – Schwamendingen, ein Randbezirk von Zürich mit über 600 Abbildungen und Beiträgen von u.a. Philipp Klaus, Urs Stahel und der Künstlerin selbst.
Unser Dank geht an Pro Helvetia – Schweizer Kulturstiftung, Kanton Zürich Fachstelle Kultur/Swisslos, Stiftung Ema und Curt Burgauer, Baugenossenschaft Süd-Ost Zürich.
Die Ausstellung K12 – Schwamendingen wurde mit Unterstützung der Stadt Zürich, Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) realisiert und baut auf einer fotografischen Langzeitstudie auf. Sie ist im Rahmen des mehrjährigen Projektes «Lokaltermin Schwamendingen» der KiöR entstanden.